Der Ferdinand

15.10.2015 11:47

Vor einigen Wochen ist der Ferdinand gestorben. Er war ein lieber und außergewöhnlicher Mensch zugleich. Ich denke so oft an ihn, dass es mir ein Bedürfnis ist, hier über ihn zu schreiben.

Er war immer da. Egal, wann wir in das Lokal kamen. Es war sein zweites Zuhause. Besonders gepflegt war er nicht, der Ferdinand. Weder zum Frisör, noch zum Zahnarzt hatte er ein gutes Verhältnis. Altersmäßig hätte ich ihn so zwischen 70 und 75 geschätzt.

Er hatte seinen Platz an der Bar, ums Eck vom Wurlitzer. Kennen gelernt habe ich Ferdinand durch … naja … eigentlich durch den Wurlitzer. Ich hatte ein paar Münzen reingeschmissen und war tatsächlich zu blöd, dieses High-Tech-Gerät zu bedienen. Sofort war der Ferdinand zur Stelle. Er erklärte mir, wo ich drücken muss und so kamen wir ins Gespräch. Ganz außergewöhnlich fand ich zuerst nur, dass er einen Stapel von kleinen Zetteln herauszog, solche, auf denen die Kellner die konsumierten Getränke zusammenrechnen. Die Zettel waren vorne und hinten beschrieben und fein säuberlich sortiert. Auf den Zetteln standen alle Liedertitel samt Interpreten, die er gerne hörte. Dann gab es noch Zettel, wo er aufschrieb, was die Stammgäste des Lokals gerne hörten. Nachdem er mir geholfen hatte, meine Liedertitel zu suchen und auszuwählen, schenkte ich ihm die restlichen drei Guthaben. Der liebe Mann freute sich wie ein Schneekönig. Dann ging er wieder zu seinem Platz an der Bar zurück und trank sein Bier.

Je öfter ich den Ferdinand traf, desto mehr erzählte er mir von sich. Er hatte eine Tochter in der ehemaligen DDR, zu der er keinen Kontakt hatte. „Weißt, ich bin selber schuld! Ich hätte dort bleiben und nicht wieder nach Wien zurückkommen sollen! Aber ich war auf Montage in der ehemaligen DDR, und sie hat ma halt so gut gefallen. Das war eine fesche Frau. Das Kind war natürlich nicht geplant. Wie’s ma dann gesagt hat, dass ich eine Tochter hab, war ich schon wieder zurück in Wien. Sicher hab ich sie besucht, aber über die Jahre konnte ich keine tiefere  Beziehung zur Tochter aufbauen und mit der Mutter hab i mi dann auch nimma verstanden. Es war einfach a Schas, wie des grennt ist!“

Der Ferdinand war ein Mensch, der sich nirgends aufdrängen wollte. Er freute sich irre, wenn ich zu ihm kam und ihn mit Bussis auf die Wangen begrüßte. Nach und nach drückte er mich immer herzlicher und  freute sich immer mehr, mich zu sehen. Mein Freund ließ ihm im Lokal immer Bier gutschreiben, weil der Ferdinand nicht besonders viel Geld zur Verfügung hatte. Unaufgefordert hätte sich der Ferdinand nie zu uns gesetzt. Er wollte nie stören und ging niemandem auf die Nerven.

Einmal erzählte er mir, dass er die Matura gemacht hatte und immer noch gerufen wurde, um Flugzeuge zu reparieren. Er muss ein Meister gewesen sein auf diesem Gebiet. Den Flugschein hatte er auch. Ich fand das erstaunlich und ich hörte ihm wie immer sehr interessiert zu.

Nachdem auch seine Ehe schief gegangen war, weil der Schwiegervater sich ständig eingemischt hat und ihn ausbeuten wollte, verbrachte er sein Leben im Alter nun ganz allein und ziemlich arm.

Obwohl wir uns so oft gesehen und sehr nett geplaudert hatten, wusste ich zwar, dass er irgendwo in der Nähe des Lokals wohnte, kannte aber nicht einmal seinen Nachnamen. Über Kreuzschmerzen klagte er sehr oft, das fiel mir auf. Wie schlimm es wirklich um ihn hatte stehen müssen, bemerkte niemand.

Ich hatte ihm versprochen, seine Zettel mit den Liedertiteln und Interpreten für ihn alphabetisch zu ordnen und auf dem Laptop zu tippen. Dazu kam es leider nicht mehr. Den Gugelhupf, den ich ihm versprochen hatte, konnte ich ihm auch nicht mehr backen. Das tut mir sehr, sehr leid.

Ganz alleine in seiner Wohnung ist er gestorben, der Ferdinand …