Die Frage aller Fragen ...
Völlig überfüllte U-Bahn in Wien. Ich steh am Bahnsteig und überlege ohnehin fünfmal, ob ich überhaupt einsteigen oder auf die nächste U-Bahn warten soll, in der Hoffnung, dort wenigstens einen Quadratmeter Stehplatz für mich beanspruchen zu können. Da ich in der U-Bahn nicht so der Kuscheltyp bin, warte ich in den meisten Fällen auf die nächste U-Bahn und die Situation ist oft besser, leider nicht immer. Allein der Gedanke an einen Sitzplatz ist zu den Stoßzeiten meist abstrus. Das Verhalten der Menschen in der U-Bahn zu beobachten, ist für mich zur Passion geworden. Für mich lassen sich zum Beispiel fünf verschiedene Aussteigtypen in der U-Bahn beobachten.
Da gibt es einmal den Typ „gedankenverlorener Workaholic“, der entweder telefoniert oder E-Mails am Handy liest und es gerade noch schafft aus der U-Bahn zu springen, nachdem bereits alle Leute eingestiegen sind. Äußerst witzig zu beobachten und völlig in Ordnung für mich.
Der zweite Typ, zu dem auch ich mich zähle, ist der „gemütliche Aussteiger“. Er steht von seinem Sitzplatz erst auf bzw. verlässt seinen Stehplatz erst, wenn die U-Bahn in seiner Station zum Stehen kommt und bewegt sich in Richtung Tür. Ein recht unkomplizierter Zeitgenosse, wie ich finde.
Dann gibt es als dritten Typen den „angenehmen Frühaussteiger“. Er erhebt sich bereits im fahrenden Zug vor seiner Station von seinem Sitzplatz und stellt sich ganz ruhig irgendwo in den Türbereich, um den Zug rechtzeitig in der Station verlassen zu können. Dabei handelt es sich oft um ältere Leute, die einfach ein besseres Gefühl dabei haben, sich früher in Richtung Tür zu begeben, was für mich mehr als verständlich ist.
Der vierte Typ, der „indiskrete Frühaussteiger“, ist ein Lieblingstyp von mir. Bereits eine Station vor seiner Aussteigestation, noch bevor die U-Bahn die Station verlässt, erhebt er sich von seinem Sitzplatz bzw. drängelt von seinem Stehplatz in Richtung Tür. Personen, die ihm im Weg stehen werden direkt und lautstark angesprochen: „Steigen Sie aus?“ Der indiskrete Frühaussteiger steht direkt an der Tür, wenn die U-Bahn in seine Station einfährt. Beim Aussteigen ist er stets der Erste, der die U-Bahn verlässt.
Es mag vielleicht skurril erscheinen sich mit dieser Materie zu beschäftigen, doch hat sich der „indiskrete Frühaussteiger“ die Jahre meines U-Bahn-Konsums hindurch so dermaßen bei mir unbeliebt gemacht, dass ich mir darüber irgendwo Luft verschaffen muss. Mir geht es um die dämlichste aller Fragen: „Steigen Sie aus?“ Was bitteschön soll die Frage? Was geht es bitte einen wildfremden Menschen an, ob ich aussteige oder nicht? Was kommt als nächstes? Die Frage nach meinem Namen, meiner Adresse, meiner Telefonnummer? An diese indiskrete Frage kann und werde ich mich niemals gewöhnen! Ich habe es mir mittlerweile zum Sport gemacht, diese eine Frage nicht mehr zu beantworten und dem Fragesteller einfach frech und tief in die Augen zu sehen und zu schweigen. Meist funktioniert das recht gut. Nicht jedoch beim für mich penetrantesten Aussteigtypus.
Das absolute Highlight ist und bleibt für mich Nummer fünf, der „hartnäckig indiskrete Frühaussteiger“, derjenige, der nach meinem Schweigen auf seine Frage: „Steigen Sie aus?“, hinter mir zu drängeln beginnt, am liebsten durch mich durchsteigen würde, und die Frage ein zweites und – man stelle sich vor – auch noch ungeniert ein drittes Mal stellt. Da kann ich mich dann nicht mehr zurückhalten und meine Antwort ist jedes Mal dieselbe: „Das, gnä Frau/mein lieber Herr, wird, bis sich diese Türen öffnen, ein Geheimnis für Sie bleiben …“