Fifty Shades of Grey … hautnah

05.08.2019 16:30

Ein nettes Abendessen mit Freunden in einem gehobenen Wiener Innenstadtlokal. Abschlussdrink an der Bar. Ein 1,95er Hüne um die 50 im perfekt sitzenden dunkelgrauen Anzug mit Seitenschlitz nimmt Augenkontakt mit mir auf. Minuten später steht auch schon der Kellner mit der Frage vor mir: „Was darf ich Ihnen noch servieren? Der nette Herr dort drüben würde Sie gerne einladen.“ Nach der vorangegangenen Flirterei, kommt die Frage nicht gerade unerwartet. Ich habe das Achterl Big John noch nicht bestellt, da steht er auch schon neben mir, der Richard, und ich komme mir mit meinen 1,68 vor wie ein Hobbit. Wie er mir gleich eingangs zu erzählen beginnt, ist er der tollste Mann auf Erden. Geschieden, keine Kinder, CEO eines bekannten Online Brokers. Sekunden später schiebt er mir auch schon seine Visitenkarte am Tresen entgegen. Beim zweiten Zuprosten weiß ich alles über seine Exfrau, die Scheidung und die Nachfolge-Mitzi, beim dritten sind wir dann per Du, obwohl er von mir nicht mehr als meinen Vornamen kennt. Gerade als ich mir denke: Auf meiner Stirn steht wohl wieder: „Quatsch mich voll und heul dich aus!“, kommt überraschend eine Frage von ihm, die den Monolog zu einem Gespräch wandelt. Zu einem sehr netten Gespräch, wie ich zugeben muss. Ich denke nicht mehr ans Heimgehen. Wir kommen drauf, dass wir sogar gemeinsame Bekannte haben. Meine Freunde verabschieden sich nach und nach und ich bleibe, mit dem netten 1,95er-Richard ins Gespräch vertieft, alleine im Lokal zurück. Die Unterhaltung wird immer kurzweiliger und interessanter. Als uns der Barkeeper vermittelt, dass Sperrstunde ist, und wir das Lokal eher widerwillig verlassen, blicke ich auf einen schönen Abend zurück. Auf die Frage nach meiner Telefonnummer gebe ich Richard die richtige. Ich vertausche oder ersetze keine Nummern, wie es mir sonst gerne mal passiert. Dann steige ich ins Taxi.

Kaum zu Hause angekommen, läutet auch schon mein Handy. Es ist Richard. Er bedankt sich für den schönen Abend, macht mir unglaublich nette Komplimente und fragt mich, wann ich in den nächsten Tagen Zeit für ihn erübrigen könne, er würde mich gerne zum Essen einladen. Wir verabreden uns für Samstagabend.

Samstagabend, pünktlich um 19:30 Uhr, gehe ich vors Haus, wo bereits ein dunkelblauer BMW mit Fahrer auf mich wartet. Dass Mr. Broker mir, als Sternderl-Typ, damit keine besonders große Freude macht, kann er ja nicht wissen. Ich werde in den 4. Bezirk zu einem kleinen Italiener gebracht. Ein sehr romantisches und angenehmes Lokal. Der Hüne wartet bereits an der Theke auf mich, begrüßt mich überschwänglich und bestellt Aperitif. Dann werden wir von der Chefin persönlich an den Tisch geleitet. Die Speisekarte, auf der mit Kreide die Tagesgerichte aufgelistet sind, wird in Form einer großen Tafel an den Tisch gebracht und daneben aufgestellt. Zu jedem Gang wird der passende Wein bestellt. Sorbet wird dazwischen an der Bar serviert. Richard verwöhnt mich sehr. Ich fühle mich fast wie einer Prinzessin. Beim Ristretto angelangt, beginnt er plötzlich, mir seine Liebe zu gestehen und fragt mich – als wäre es das Natürlichste der Welt -, ob ich mit ihm zusammen sein möchte … so quasi „fix“. Es verschlägt mir die Sprache. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Das ist unser erstes Date, das letzte Treffen war Zufall. Er bemerkt, dass ich nicht weiß, was ich antworten soll und meint, dass er mich noch zu sich nach Hause auf ein Glas Wein einladen möchte, während ich darüber nachdenke. Dankend lehne ich, mit der Begründung leichte Kopfschmerzen zu haben, ab. „Ich bin schon wieder der Trottel. Ich lass dich abholen, lad dich um ein kleines Vermögen hierher ein und hab im Endeffekt mal wieder nichts davon.“, beschwert sich der Broker viel zu laut für das kleine Lokal. Wortlos bringt er mich nach Hause und verabschiedet sich eiskalt von mir. „Naja,“ denke ich beim Hineingehen ins Haus, „aus der Traum vom Prinzen!“ und muss schmunzeln, als ich den Abend Revue passieren lasse.

Tags darauf läutet gegen Mittag mein Telefon. Der Hüne. Ich überlege kurz und entscheide kurzerhand, den Anruf nicht anzunehmen. Er hinterlässt eine Nachricht auf der Mobilbox mit der Bitte um Rückruf. Ich reagiere nicht darauf. Eine Stunde später ruft er schon wieder an, ich gehe wieder nicht ran. Im 30-Minuten-Takt bekomme ich nun Anrufe von Richard. Mittlerweile denke ich, der hat einen Schuss. Die Nachrichten werden aggressiver, dann – gegen Abend hin – wieder verzweifelter. Richards Anruf gegen 20 Uhr nehme ich dann entgegen. Er entschuldigt sich bei mir für sein Verhalten und bittet mich, tags darauf mit ihm einen Kaffee trinken zu gehen, damit er sich in aller Form entschuldigen und mir sein Verhalten erklären kann. Ich sage zu und wir vereinbaren für den nächsten Tag ein Treffen in meiner Mittagspause.

Am nächsten Tag gehe ich zum Treffpunkt. Zur Begrüßung versucht er mich gleich zu küssen. Erfolgreich drehe ich den Kopf zur Seite und er erwischt lediglich meine Wange. Wir setzen uns und bestellen Kaffee. Richard erklärt mir, dass er so oft von den Frauen ausgenutzt wurde und immer der Depp war und jede mit ihm gespielt hat. Er tut mir richtig leid. Dann sagt er: „Gell, jetzt ist wieder alles gut zwischen uns.“ Zum Antworten komme ich nicht. Er setzt gleich nach: „Aber eins muss ich dir schon sagen: Bei mir gibt’s keinen Blümchensex. Bei mir läuft das so, wie in Fifty Shades of Grey, nur, dass du es gleich weißt.“ Ich antworte nicht, krame wortlos in meiner Tasche. Er sieht mich erwartungsvoll an. Dann steh ich langsam auf, stütze mich mit beiden Händen am Tisch auf, beuge mich zu ihm hin und flüstere ganz nahe an seinem Ohr: „Vergleich dich nie wieder mit Christian Grey. Er hat wesentlich mehr Stil als du!“ Fein säuberlich klemme ich einen Zehn-Euro-Schein unter meine Kaffeetasse, drehe mich um und verlasse das Café.

Kaum wieder zurück im Büro, erhalte ich eine WhatsApp-Nachricht von möchtegern Grey: „Wir passen nicht zusammen, es ist aus!“

Tja … DAS war definitiv die kürzeste Beziehung, die ich je hatte …

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