… kommt von irgendwo ein Lichtlein her
Ein grauslicher Herbsttag. Anfang Oktober. Nebel. Regen. Das Wetter schlägt aufs Gemüt, immer mehr. Gnadenlos.
Fassungslosigkeit macht sich breit. Immer wieder kreist dieselbe Frage im Kopf. Was ist so dermaßen schief gelaufen, dass sich keine andere Möglichkeit bot, als das Drama eigenhändig zu beenden? Eine Kleinigkeit führte zu einem Streit, der seinesgleichen suchte. Bei der kleinsten Kritik spielte der ach so große Meister Magician und ließ sich selbst verschwinden. Zweimal in den zwei Jahren hatte sich der Kampf, ihn wiederzufinden – das Einlenken – für sie gelohnt. Zuletzt ergab die Sucherei keinerlei Sinn mehr, sodass sie gänzlich darauf verzichtete, einen Schlussstrich zog und ihrer Tortur ein Ende bereitete. Nicht, dass er sie auch nur mit einem Wort festhalten oder gar um sie kämpfen hätte wollen. Einfach nur Schweigen. Stille. Seinen Höhepunkt erreichte das Kindergarten-Theater im Austausch der Fahrnisse, die sich jeweils beim anderen angesammelt hatten und jeweils in ein SPAR-Sackerl passten. Der Stolz des großen Meisters war dermaßen gekränkt, dass er sich mit Händen und Füßen gegen einen persönlichen Austausch wehrte. Ihre Wohnungs- und Autoschlüssel wurden ihr samt dem SPAR-Sackerl mit ihren Habseligkeiten einfach still und heimlich in ihre Wohnung gestellt, so wie das Menschen, die sich einer persönlichen Begegnung nicht gewachsen fühlen, eben machen. Seine Auto- und Wohnungsschlüssel nahm der große Meister bei der heimlichen Austauschaktion mit, das SPAR-Sackerl mit seinen Habseligkeiten blieb jedoch stehen. Als er ihr später telefonisch vorschreiben wollte, was mit dem SPAR-Sackerl zu geschehen hatte, machte sie kurzen Prozess und hinterlegte es ihm in einem seiner Lieblingslokale. Eine Ausbildung zur Kindergartentante hatte sie nicht und strebte sie auch nicht an. Keinerlei Kontakt mehr. ENDE.
Tränen kullern unkontrollierbar über die Wangen. Peinlich ohne Ende, wenn man im Büro sitzt. Der Kollegin geht es gerade ähnlich. Gemeinschaftsplärrerei und -suderei. Die Chefin hängt bei Auswärtsterminen fest. Die Stimmung ist am absoluten Tiefpunkt als der Vorschlag kommt, gemeinsam einen Limoncello zu trinken. Gesagt, getan. Zwei Mokkatassen halbvoll mit dem gelben Zitronenwasser und „Prost, Tristesse!“ Gleich darauf stellt sich die Frage, wer die Post holen geht. Ob des tränenzerstörten Make-ups, weigert sich die Kollegin strikt. Nach bestmöglicher Restaurierung und in hervorragend gemimter guter Stimmung geht es runter zum Empfang …
Da steht ein Mann. Geschätzt so um die 50. Nicht allzu groß, graumeliertes Haar, drei-Tages-Bart. Irre toller Typ. Die beiden Damen vom Empfang scheinen gerade beschäftigt zu sein. Es ist keine da. Sie müssen wahrscheinlich die Besprechungszimmer herrichten. Der Mann sieht sie erwartungsvoll an. Mit einem Lächeln und einem freundlichen „Grüß Gott!“ huscht sie an ihm und am Empfang vorbei, um die Post für die Abteilung zu holen. Er grüßt ebenfalls freundlich. Beim Zurückgehen steht der Typ immer noch verloren und mutterseelenalleine da. Eine Interaktion scheint vonnöten zu sein. Sie legt die Postmappe am Empfang ab. „Bitteschön! Was kann ich für Sie tun?“ Er sagt ihr bravest seinen Namen und mit welchem Anwalt er einen Termin hat. Noch bevor sie etwas sagen kann, schaut er ihr tief in die Augen und greift mit einer Hand in die Brusttasche seines Sakkos: „Sie könnten schon was für mich tun. Sie könnten mit mir einen Kaffee trinken gehen. Rufen Sie mich bitte an!“ Er reicht ihr seine Visitenkarte. Als sie sie entgegennimmt bemerkt sie seine außergewöhnlich schönen und gepflegten Hände. Eine der Empfangsdamen biegt um die Ecke und holt den blauäugigen Irren ab, bevor er eine Antwort bekommt.
Total geflasht wird der Kollegin detailgetreu geschildert. Diese beißt sich natürlich in den Allerwertesten, weil sie die Post nicht geholt hat, und verkündet dies auch noch lauthals. Auf der Visitenkarte steht MMag. Sehr beeindruckend. Sofort wird eine Internetrecherche gestartet und der blauäugige Irre genauestens durchleuchtet. WOW! Italiener. Komponist und Musiker. Die Visitenkarte wird in der hintersten Ecke des Schreibtisches deponiert, um nur ja nicht auf die Idee zu kommen …
Tags darauf stellt der Empfang einen Anruf durch. Der blauäugige Irre. Er fordert den angeblich versprochenen Kaffee-Termin ein. Sie ist der Meinung, dass seine Mühe belohnt werden muss und verabredet sich mit ihm …